Spieglein, Spieglein … wer ist die Schönste im ganzen Land?

Spieglein, Spieglein … wer ist die Schönste im ganzen Land?

BRAUCHTUM HAUTNAH ERLEBEN
Der Frühherbst ist die Zeit der Alpabfahrten und Viehschauen im Appenzellerland

[Bodensee Ferienzeitung, Herbst 2013] Es ist Frühherbst. Auf den Gipfel bleibt bereits der erste Schnee liegen. Jetzt ist die Zeit, wo überall in den Alpen die Überführung des Viehs von den Bergweiden ins Tal an steht. Was im Bayerischen der „Almabtrieb”, im Allgäu die „Viehschaid” ist, wird im Appenzellerland als „Alpabfahrt” bezeichnet. In einem langen Marsch ziehen die Sennen und Bauern mit ihren Kühen, Ziegen und Schweinen von der Sommeralp bis zum heimischen Hof. Vielerorts in den Alpen sind diese Albabfahrten längst zu einem Tourismusspektakel geworden. Tausende Zuschauer stehen an den Straßen, das Fernsehen überträgt als Livestream und alles erinnert irgendwie an einen großen Jahrmarkt. Darunter leiden oft auch Tradition, Stimmung und Magie. Im Appenzellerland geht es noch beschaulich zu. Nur im Dorf Appenzell kommt richtig Volksfeststimmung auf. Hier gilt es früh vor Ort sein, um einen guten Platz zu erwischen. Alpabfahrten finden gewöhnlich zwischen Mitte August und Mitte September statt. Das Datum bestimmt jeder Älpler oder die Alpgenossenschaften selbst. Entsprechend kurzfristig können die Termine sein, denn auch Wetter und vorhandenes Futter auf den Alpen sind dafür entscheidende Faktoren. Genauere Daten und Zeiten wann und wo Alpabfahrten stattfinden oder „Durchmarschieren“ sind meist erst am Vortag der Alpabfahrt bei der Tourist-Information Appenzell erhältlich. Besonders tief ist das Erlebnis, wenn man sich im ersten Tageslicht in die Berge aufmacht. Durch die schwindende Dunkelheit bis zu einem hochgelegenen Berggasthaus ansteigt. Bei einem z’Morge-Kaffi die Ruhe des frühen Tages genießt. Vielleicht bleibt auch noch Zeit für einen kleinen Gipfelerfolg auf einem der Felszacken des Alpsteins? Spätestens gegen Mittag steigt man dann zu einer der Alpen ab. Das „Zauren“ der Sennen – der rund um den Säntis verbreitete, langgezogene, archaische Naturjodel – gibt gut die Richtung an, wenn man nicht weiß auf welche Alp man gehen soll. Wer das Glück hat von den Sennen an den Tisch gebeten zu werden, steckt unversehens mitten drin in der Magie. Das Jodeln geht wohlig durch Mark und Bein, bleibt im Ohr hängen und klingt noch tagelang nach. Die Rösti mit Alpkäse duften verführerisch gut und schmecken noch besser. Dazu ein Glas Wein (oder frische Milch). Mehr braucht kein Mensch, um wahres Glück zu spüren. Irgendwann am frühen Nachmittag kommt Bewegung in die gesellige Runde. Die Sennen packen Ihre Sachen, schnüren den Rucksack. Das Vieh wird spürbar unruhig und nervös, springt schließlich fast überschwänglich im Klang der Schellen los und zieht doch schon bald als halbwegs geordneter, langer Zug dem Tal entgegen. Vorneweg marschieren
die Kinder. Mädchen in der Tracht mit Blumenkranz im Haar und der „Geissebueb“ in schmucker Tracht, halten ein „Schuppel” weißer „Gäässe“, ein kleiner Trupp der hornlosen Appenzeller Ziegen, zusammen. Ihnen folgt mit Abstand der Vorsenn mit einem kunstvoll bemalten hölzernen Melkkübel – sets auf der linken Schulter – vor den drei schönsten Kühen. Sie tragen prachtvolle, klanglich aufeinander abgestimmte Senntumsschellen. Vier Sennen in der Tracht führen dann im Rhythmus der Kuhglocken zaurend die Herde an. Am Ende des Zugs laufen die Bauersleute, manchmal von einem Pferdewagen mit den Alpgerätschaften begleitet.

Spieglein, Spieglein …
Ende September, Anfang Oktober ist dann überall in der Schweiz Zeit für die Viehschauen. Mit die schönsten und prächtigsten sind sicher im Appenzellerland zu finden. Auf der größten, der kantonalen Viehschau am Brauereiplatz in Appenzell, messen die Bauern ihren Braunviehbestand mit jenen der anderen Viehbesitzer. Viele Bauerfamilien ziehen zur Freude der zahlreichen Besucher in voller Alpfahrtsmontur, in Sennentracht, mit Schellen und geschmückten Tieren zum Festplatz. Die schönsten, bestgeformten und leistungsfähigsten
Kühe verschiedener Kategorien erhalten jeweils zum sichtbaren Stolz Ihrer Besitzer eine Plakette für den Stall. Wer durch die langen Reihen der Kühe spaziert, mitten drin im Gewühl und Schubsen der gestriegelten und geputzten Tiere steckt, kann sich gut vorstellen, dass das Preisgericht aus erfahrenen Landwirten keinen leichten Job hat. Uneingeweihte erkennen oftmals keinen Unterschied zwischen den Kühen. Da gilt es dann bei der Preisverleihung und der Siegervorführung vor dem benachbarten Appenzeller Brauhaus genau zu zuhören, um zu verstehen warum diese und jene Kuh gewonnen hat. Rund um das Treiben auf der Präsentationsplatz ist unterdessen „en grosses Fescht” zu Gange. Es gibt Grillwürste und Raclette, Alpkäse und hausgemachten Kuchen… und ab und an Stimmen irgendwo im Getümmel ein paar Sennen auch wieder ein „Zauerli” an. Erst am späten Nachmittag löst sich die Zusammenkunft allmählich auf. Nach und nach ziehen die Bauern und Sennen mit Ihrem Vieh wieder in Richtung der heimischen Höfe. Nicht selten folgt noch eine lange und gesellige Nacht in der nächsten Wirtschaft.

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