Von wegen, der Bodensee verfalle in einen winterlichen Dornröschenschlaf… […]
[Bodensee Ferienzeitung, Märt 2013] Dichter Nebel wabert im Tal. Über dem Hohen Kasten strahlt die Sonne vom stahlblauen Himmel. Der Wind pfeift um die Ohren. Aufgepeitschte Eiskristalle akkupunktieren das Gesicht. Mit zusammengekniffenen Augen genieße ich mit Martin Ebneter, Geschäftsleiter der Kastenbahn, das phänomenale 360°-Panorama zum Säntis, zu den Bündner Bergen und zur Silvretta, in den Bregenzerwald und ins Allgäu. Nur das Appenzellerland und der Bodensee sind unter der watteweichen, grauen Decke nicht zu sehen. Die Aussichtsterrasse wird noch von einer hohen Schnee- und Eisschicht bedeckt, der Weg durch den Alpengarten ist nur mit alpiner Ausrüstung begehbar. Ein seltener Moment der völligen Einsamkeit auf dem 1795 Meter hohen Aussichtsberg zwischen Appenzell und Alpenrheintal.
Revisionszeit. Die Bahn und das Drehrestaurant auf der Bergspitze sind geschlossen. Skipisten gibt es am Hohen Kasten keine und die Wanderwege sind frühestens ab Mai begehbar. Von Neujahr bis Ostern steht am Hohen Kasten die Zeit stehen, scheinbar. Hinter den Kulissen herrscht auch hier eine wohl koordinierte Betriebsamkeit. „Jeder Handgriff muss genau sitzen“, wenn Ebneters Mitarbeiter die fast drei Kilometer lange Strecke kontrollieren. Immerhin haben seine Männer an manchen Stellen rund 150 Meter Luft unter den Sohlen, wenn sie die Stützen und die Zug- und Tragseile auf Sicht und mittels Elektromagnetik kontrollieren. Die Technik und Mechanik der Kastenbahn ist über das Jahr schonungslos den Elementen ausgesetzt. Temperaturschwankungen von -30°C bis +40°C und Windgeschwindigkeiten von 180 km/h sind nichts Ungewöhnliches. Wind und Wetter arbeitet auch an den Gebäuden auf dem Gipfel. Das Drehrestaurant wurde ganz bewusst in traditioneller Schindeltechnik verkleidet. Was im Tal seit Jahrhunderten die Wetterseiten der Höfe schützt, hat sich auch am Gipfel bewährt, und trägt natürlich auch zur gefälligen, regionaltypischen Optik bei.
Viel Zeit, um eine Aussicht wie heute zu genießen bleibt Ebneter jedoch nur selten. Zu viel Arbeit steht an: Bremsen prüfen, Dichtungen und Schweißnähte erneuern, Türen justieren, aber auch den Drehmechanismus der Restaurants warten. Zudem stehen auch Notfallübungen auf dem Programm, etwa das Abseilen aus den Kabinen. Wir sind wieder im Tal. Tief im Bauch der Talstation befinden sich die Steuerung, Elektronik und Antrieb der Bahn. Ebneter muss spontan lachen, als er meinen überraschten Blick sieht: „Ja, der Motor ist nicht so groß, wie man ihn sich vorstellt.“ Doch der kaum kühlschrankgroße, unscheinbare Gleichstrommotor bringt im Maximum satte 760 PS auf die Zahnräder. Im nächsten Winter steht der Kastenbahn die nächste große Umbaumaßnahme bevor. „Sobald die Saison am 31.12. beendet wird, bleiben uns knapp drei Monate Zeit, um zwei neue Motoren zu installieren“, erzählt mir Ebneter. „Das wird ein hartes Stück Arbeit, neben den ohnehin schon umfangreichen Revisionsarbeiten.“ Von all dem ahnen nur die wenigsten Gäste, wenn sie ab Karfreitag wieder auf den Gipfel schweben, um im Drehrestaurant zu Schlemmen oder die Aussicht zu genießen. Die Wandersaison startet Ende Mai, Anfang Juni – je nach Schneelage.